Es gibt Geschichten, die sind so bizarr, dass man sie aufschreiben und verteilen muss. Da fragt mich eines der größten Magazine der Republik, ob ich nicht einen Debattenbeitrag zur “Zukunft der Tageszeitung” schreiben möchte. Aber als ich nach einer Entlohnung für meinen Gehirnarbeit frage heißt es: “Tut uns leid. Debattenbeiträge zahlen wir nicht.” Sagt mal, Der Spiegel. Habt ihr den Schuß nicht gehört?! (Nachtrag siehe unten: Jetzt doch alles anders.)
“Toll!”, jubelte der aufmerksamkeitssüchtige und selbstdarstellerische Popstar-Teil in mir als vorgestern die Anfrage aus dem Spiegel-Haus per Mail eintraf. “Endlich hat Der Spiegel mich entdeckt!”
“Nach der Entscheidung von Springer werden wir auf Spiegel Online eine breit angelegte Debatte über die Zukunft der Zeitung führen” schrieben mir Friederike Schröter und Cordt Schnibben vom Spiegel (nicht Spiegel Online).
Und weiter:
“Stehen wir am Anfang vom Ende der Tageszeitung? Jetzt wirklich? Geplant ist eine eigene Diskussions-Page, auf der Beiträge ausgewählter Autoren veröffentlicht werden, auf die dann geantwortet werden kann.”
“Uih!” jubelte der aufmerksamkeitssüchtige und selbstdarstellerische Popstar-Teil in mir. “Der Spiegel will meine Meinung hören! Toll!”
Aber bevor mein Ego endgültig platzen konnte, meldete sich mein innerer Buchhalter zu Wort, zückte seinen Bleistift und mäkelte: “Da steht aber gar nichts von Honorar!”

Sorgt dafür, dass mein innere Popstar sich nicht nur für Ruhm und Ehre verkauft: Mein innerer Buchhalter.
“Bestimmt ein Versehen”, beschwichtigte mein harmoniesüchtiges inneres Kind. “Frag doch mal nach.” Also schrieben mein innerer Popstar, der Buchhalter und der kleine Daniel der Tante Friederike einen elektrischen Brief.
“Vielen Dank für die interessante Anfrage”, bedankten wir und artig. “Ich hätte durchaus Lust, einen Debattenbeitrag zu dem Thema zu liefern, leider schweigen Sie sich aber über ein Honorar aus, auf das ich als freier Journalist im Tausch für meine Arbeit nun mal angewiesen bin. Daher frei gefragt: Was würden Sie zahlen für einen frech-frisch-nicht-so-fröhlichen Rant?”
Einen Tag keine Antwort. Der Popstar wollte schon online lospoltern, da kam gestern abend die Antwort:
“Lieber Herr Bröckerhoff,da wir das Ganze als Debatte verstehen, werden wir die Texte leider nicht honorieren. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie trotzdem dabei wären!”
Wir fassen zusammen: Der Spiegel, eine Redaktion mit noch verhältnismäßig viel Geld (auch wenn sie ihre magere Rendite von gerade mal 15% im letzten Jahr bejammmern), will online groß darüber debattieren, ob die Tageszeitungen im Sterben liegen, weil sie nicht mehr genug Leser finden.
Diese Debatte ist vor allem eine über die Finanzierung von Journalismus, darüber, wie man vom Journalismus leben kann, wie man den Journalismus so weiterentwickelt, dass Menschen dafür Geld bezahlen wollen. Also auch wichtig für den gebeutelten Spiegel. (15% Rendite! Weltuntergang! Alle sofort entlassen!)
Und ausgerechnet bei dieser Debatte soll ich als freier Autor ohne festes Einkommen meine Arbeitszeit und -kraft kostenlos zur Verfügung stellen.
Für eine Debatten-Seite, auf der dann wahrscheinlich links und rechts und oben und unten Werbebanner eingebaut sind. Für einen Verlag, der letztes Jahr um die 307 Mio Euro umgesetzt hat. Für eine Redaktion, die es im Jahr 22 des Internets immer noch nicht hinbekommen hat, die Grenzen zwischen Print und Online einzureißen. (Stattdessen baut man sogar zwei iPhone-Apps. Eine für den Print. Und eine für Online.)
Ich glaub, es hackt. Entweder ist man beim Spiegel mittlerweile völlig schmerzfrei. Oder findet das irgendwie cool-hip-ironisch, weil wir haben ja Journalismuskrise, da kann man doch nicht für so einen Beitrag bezahlen! Wäre doch völlig widersprüchlich!
Liebe Spiegel-Kollegen, Danke, aber nein Danke. Die Zeit, die ich gebraucht hätte, um euren kostenlosen Debattenbeitrag zu schreiben habe ich leider gebraucht, um euch die Leviten zu lesen. Und jetzt geh ich meinem inneren Kind ein Schokoeis kaufen. Mit dem Geld, was mir Leute geben, damit ich für sie arbeite.
Disclaimer:
NACHTRAG 13:00
Lieber Herr Bröckerhoff,
wir haben Ihnen gestern mitgeteilt, dass Sie kein Honorar bekommen für einen möglichen Debattenbeitrag. Diese Entscheidung ist von mir getroffen worden, im Gespräch mit Friederike, ohne zu unterscheiden zwischen Freien und Festangestellten. Mußte mich gerade von den Spon-Kollegen darüber aufklären lassen, dass Spon natürlich an Freie auch für kurze Debattenbeiträge zahlt. Sorry. 250 Euro für 100 Zeilen in diesem Fall.
Schöne Grüße!
250 Euro sind ein solides Salär, allerdings wundere ich mich doch ein bißchen, dass Kollege Schnibben nicht von sich aus zwischen freien und festangestellten Journalisten unterscheidet. Deren unterschiedliche Arbeits- und Einkommensverhältnisse sollten ihm doch eigentlich bekannt sein…